Ausgangslage für die Erarbeitung des Pilotprojekts DigLu

Kinder beruflich Reisender, das sind vor allem Kinder aus Schaustellerfamilien, von Zirkusangehörigen, von ambulanten Händlern, von Puppenspielern, von Binnenschiffern, mobilen Scherenschleifern, mobilen Bettfedernreinigungen, um nur einige exemplarisch zu nennen. Sie haben grundsätzlich ein Recht auf Bildung sowie ein Recht auf individuelle Förderung.

Das Leben dieser Kinder ist geprägt von häufigem Ortswechsel. Die Familie bildet gleichzeitig eine Wirtschafts- und Erwerbseinheit, in der die Kinder schon relativ früh in den Arbeitsprozess einbezogen werden. Insbesondere Kinder in kleineren Familienunternehmen helfen als mitarbeitende Familienangehörige bei der Gestaltung des Programms, beim Auf- und Abbau, beim Karten- oder Warenverkauf oder der Versorgung der Tiere.

Das Leben auf der Reise bedingt ständige Schulwechsel, neue Lehrkräfte, Mitschülerinnen und Mitschüler, Konfrontation mit unterschiedlichen pädagogischen Konzepten, Unterrichtsmethoden und Unterrichtsinhalten sowie einer Vielfalt von Schulbüchern. Hinzu kommt eine erhebliche Verkürzung der zur Verfügung stehenden Unterrichtszeit durch die Reisetage (Abbau, Umsetzen und Aufbau am nächsten Standort). Kontinuierliches Lernen ist dabei schwierig.

Einige tausend Kinder wechseln so in Deutschland in jeder Woche die Schule, weil ihre Eltern als beruflich Reisende unterwegs sind. Diese Kinder besuchen durchschnittlich über dreißig verschiedene Schulen pro Jahr. Wie für alle Kinder und Jugendlichen besteht auch für reisende Kinder vom Grundsatz her die allgemeine Schulpflicht und wie alle Kinder und Jugendlichen haben sie ein Recht auf Erziehung und Bildung. Ihre besonderen Lebensbedingungen und individuellen Lernvoraussetzungen sind dabei zu berücksichtigen. Das Hauptproblem des Schulbesuchs auf der Reise war und ist für sie die Diskontinuität der Lernprozesse.

Deshalb ist es nötig, dass ihre Lernsituation erkannt wird, dass die Lehrkräfte an den unterwegs besuchten Schulen ihren Lernstand kennen, dass die Kinder ermutigende Hilfe und Förderung erhalten und aufeinander abgestimmte Lernprozesse erfahren. Es mussten und müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die kontinuierliches Lernen ermöglichen und stabile Schüler-Lehrer-Beziehungen fördern.

Drei Ziele

Mit dem Konzept „Lernen auf der Reise“ werden im Wesentlichen drei Ziele verfolgt:


Kontinuität

Um Überschaubarkeit und Kontinuität der Lernprozesse reisender Kinder zu ermöglichen, haben die Länder das Schultagebuch entwickelt. In ihm werden die behandelten Unterrichtsinhalte und die Schulbesuchstage dokumentiert. Jedes Schultagebuch enthält eine individuelle Lernplanung für die Fächer Deutsch, Mathematik und für die erste Fremdsprache. Das Schultagebuch ist ein zentrales Kommunikations- und Dokumentationsinstrument, das für reisende Kinder zur Verfügung steht. Seine Verwendung ist in allen Ländern verpflichtend.

Verantwortlichkeit

Um Verantwortlichkeit zu gewährleisten, gibt es in allen Ländern für die reisenden Kinder Stammschulen und Stützpunktschulen. Stammschulen sind die Schulen, die die Schülerakte des Kindes oder Jugendlichen führen; Stützpunktschulen sind die Schulen, die während der Reise besucht werden.

Individualität

Um eine intensivere und individuellere Betreuung zu ermöglichen, sind in allen Ländern Bereichslehrkräfte mit der Förderung und Beratung der Kinder beruflich Reisender beauftragt, die in durch die Schulaufsicht festgelegten regionalen Bereichen ihre Aufgaben für die schulische Bildung reisender Kinder und Jugendlicher wahrnehmen.


Dieses Konzept kommt aber durch seinen „analogen“ Charakter stetig an seine Grenzen. Der Schulausschuss der Kultusministerkonferenz (KMK) hat auf seiner 392. Sitzung am 17./18.Oktober 2013 die Länderkonferenz (ein von der KMK eingerichtetes Gremium, das aus allen 16 Ländern besteht) für die Beschulung von Kindern beruflich Reisender beauftragt, ein neues Schulkonzept zu erarbeiten mit dem Ziel, eine flächendeckende vergleichbare schulische Versorgung reisender Kinder unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Rahmenbedingungen in den einzelnen Ländern zu ermöglichen. Die Länder haben diesen Auftrag umgesetzt und dem Schulausschuss der KMK auf seiner 405. Sitzung am 01./02.12.2016 einen Konzeptentwurf vorgelegt.

Kernbereiche

Kernbereiche des neuen Konzepts sind:


Digitalisierung des ländereinheitlichen Schultagebuchs, das die Kinder beruflich Reisender verbindlich in allen Ländern führen müssen.

Schaffung einer geschützten Kommunikationsplattform für die Kinder beruflich Reisender, ihre Eltern, für die Lehrkräfte der Stamm- und Stützpunktschulen sowie die mobilen Bereichslehrkräfte.

Zugriff auf digitale Lehr- und Lernmaterialien.


Die Umsetzung der Kernbereiche in der schulischen Praxis kann nur durch ein digitales Lernmanagementsystem speziell für die Bedürfnisse der Kinder beruflich Reisender erfolgen. Die Länderkonferenz wurde vom Schulausschuss der KMK deshalb beauftragt, die Möglichkeit des Einsatzes eines Lernmanagementsystems weiter zu verfolgen. In der weiteren Entwicklung und konkreten Umsetzung entstand als Lernmanagementsystem für die Kinder beruflich Reisender „DigLu – Digitales Lernen unterwegs“.